Ungerade läuft nicht schief

Ungerade läuft nicht schief

Ich bin jetzt 30 Jahre alt und habe zehn Jahre Zick-zack-Lebenslauf in zwölf Kapiteln hinter mir. Was ich daraus gelernt habe? Meinem Bauchgefühl zu folgen.

Schon als Schülerin war ich fasziniert von Kriminalfällen und sah mich als Pathologin am Seziertisch. Vielleicht wäre mein Abi besser gewesen, wäre in der Zeit nicht mein Vater gestorben und ich mit dem Kopf ganz woanders gewesen. Für ein Medizinstudium reichte es auf jeden Fall so nicht. Meine ältere Schwester meinte, ich sei doch so kreativ und könne gut zeichnen und sollte – wie sie auch – eine Ausbildung zur Bekleidungstechnischen Assistentin machen.

Der Ausbildungsleiter trichterte uns immer wieder ein, dass nur die Besten von uns einen Job bekommen. Und ich wurde die Jahrgangsbeste. Ich konnte nähen, Schnittmuster und Kollektionen erstellen und liebte die kreative Arbeit. Ich ging auf den Arbeitsmarkt wie eine frisch gekrönte Königin: selbstbewusst und hochmotiviert. Doch niemand suchte mich. Niemand brauchte eine Bekleidungstechnische Assistentin zu diesem Zeitpunkt. Frustrierend. Aber es musste ja weitergehen.

Ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Altenheim brachte mich zwar auf andere Gedanken, ich brach es aber schnell wieder ab, um als Au Pair sechs Monate nach England zu gehen. Danach kam ich über Vitamin B doch noch an einen Job bei einem Modekonzern. Nach einem Jahr wurde mir sogar die Beförderung auf eine Führungsposition angeboten. Nur leider zum falschen Zeitpunkt: Ich war 24, wollte Karriere machen und hatte gerade den Vertrag für ein duales Studium als Textilbetriebswirtin unterschrieben.

 

Endlich machen, was ich immer wollte

Hätte ich auf mein Bauchgefühl gehört, hätte ich dieses Studium sofort abgebrochen, wollte aber die Konventionalstrafe von mehreren tausend Euro nicht riskieren und zog die zweieinhalb Jahre durch. Dann ging ich für einen Job als Designassistenz in eine andere Stadt. Das erfüllte mich, ja, doch eigentlich hatte ich mir nach dem Studium geschworen, endlich zu machen, was ich immer wollte, mich aber nie getraut hatte: Ich wollte als Frau alleine verreisen. Und zwar weit weg – nach Down Under.

Aus meinem Work&Travel-Jahr in Australien wurde ein halbes, weil ich reisemüde wurde. Ich fing wieder bei meinem alten Arbeitgeber an, kündigte aber, weil man mir nur den Mindestlohn zahlen wollte. Ich wechselte die Branche und ging als Text-Trainee zu einer Werbeagentur. Die wollten mich auch längerfristig haben, doch ich stürzte mich mit meinen 28 Jahren lieber in eine neue Ausbildung zur Mediengestalterin. Diese Ausbildung habe ich nach eineinhalb Jahren abgebrochen, weil auch das mich nicht erfüllte. Und nun habe ich einen Bürojob in Teilzeit in meiner Heimatstadt Werther bei einem Unternehmen, das Führungskräfte coacht und zur digitalen und sozialen Transformation berät. Hier kümmere ich mich um Papiere, Termine und den Kundenservice, behalte den Überblick über die Seminare und organisiere Reisen.

 

Welches Leben ist schon geradlinig?

 

Ich würde nicht sagen, dass ungerade Lebensläufe besser sind als gerade, aber sie sind authentischer.

 

Ich hatte auch schon Bewerbungsgespräche für „höhere Stellen“, habe aber immer wieder abgesagt, weil mir Werte oder der Umgang dort nicht passten. Ich brauche jetzt keinen Job mehr, in dem ich mich kreativ ausleben kann. Denn ich habe genug Freizeit fürs Zeichnen, Malen und für meine Patenkinder. In meinen Bewerbungsgesprächen wurde ich oft kritisch auf die vielen Stationen meines Lebenslaufes angesprochen. Dabei heißt es doch Lebenslauf. Und welches Leben ist schon geradlinig? Ich würde nicht sagen, dass ungerade Lebensläufe besser sind als gerade, aber authentischer. Der Mensch entwickelt sich weiter, Einstellungen und Lebensumstände können sich ändern. Auch die Entwicklung des Arbeitsmarktes spielt eine Rolle, ob der Einstieg in einem Wunsch-Job gelingt. Wäre ich heute noch mal Laura, die Schülerin von vor zwölf Jahren, würde ich nichts anders machen. Aber ich würde mir schneller sagen:

Hab Mut, hör auf deine Intuition und auf deinen Bauch. Es öffnet sich immer eine Tür – und manchmal auch eine, die man nie erwartet hätte. #