Jeder ist ein Quereinsteiger

Jeder ist ein Quereinsteiger

Sie ist das nächste große Ding: die Blockchain. Auch jenseits von Kryptowährungen wie Bitcoin hat sie das Potenzial, Wirtschaftszweige grundlegend zu verändern. Wie groß die Revolution ausfällt, muss sich noch zeigen. Dennoch herrscht Goldgräberstimmung. Blockchain-Berater sorgen dafür, dass die neue Technologie in Unternehmen ankommt.

Know-how aus dem Netz

Seit November 2019 ist der studierte Schiffbauingenieur Associate Partner bei der siebenköpfigen Unternehmensberatung. Zuvor arbeitete er zwölf Jahre lang bei der Technologieberatung Altran, baute dort Know-how im Risiko- und Projektmanagement für große Energieinfrastrukturprojekte auf – vom Kernkraftwerk bis zum Offshore-Windpark – und beriet zu Lean Production und modernen Produktionstechnologien.
Als er zuletzt das digitale Transformationsteam für den Bereich Industrie 4.0 leitete, war der Schritt hin zur Blockchain nur noch ein kleiner: „Für einen hausinternen Wettbewerb habe ich mit meinem Team ein virtuelles Kraftwerk entwickelt“, erklärt Graf. „Virtuelle Kraftwerke werden dezentral gesteuert, ohne dass ein einzelner Energieversorger als Mittler dazwischensitzt und alles in seinem Sinne kontrolliert. Und wenn man nach einer dezentralen Transaktionstechnologie sucht, ist man ganz schnell bei der Blockchain.“ Mit ihr lässt sich die dritte Person – der Mittler zwischen Transaktionen – durch unbestechliche, interessenfreie und fälschungssichere Technologie ersetzen. Alle Beteiligten spielen so auf Augenhöhe und teilen die gleichen Informationen. Das ist eines der Grundprinzipien der Blockchain- und der ihr übergeordneten Distributed-Ledger-Technologie (DLT). Selbst schärfste Konkurrenten können so in Teilbereichen vertrauensvoll und ohne „Schiedsrichter“ kooperieren.
Bei Konstantin Graf war mit dem Wettbewerb das Interesse geweckt. Im Jahr 2015 begann er, sich nach Anwendungsfällen für die Blockchain in „seinen“ Bereichen Produktion und Supply-Chain umzusehen. Viel gab es da noch nicht zu entdecken. 2008 erstmals beschrieben, war die Blockchain gerade mal ein paar Jahre alt und bis dahin vor allem auf Finanztransaktionen rund um Bitcoin ausgerichtet.
Damals – wie heute – bezog Konstantin Graf sein Know-how aus dem Netz, diskutierte in Blogs und Foren mit Gleichgesinnten, er tauschte sich auf Szeneevents über neueste Entwicklungen aus und pflegte ein großes Expertennetz. Mangels spezieller Ausbildungen ist das nach wie vor der gängige Weg in den Job und in die Branche. „Alle, die sich heute mit Blockchain beschäftigen, sind aus eigenem Antrieb dort gelandet“, stellt Graf fest. „Vielleicht gibt es bald die erste Generation, die schon im Studium Blockchain lernt. Aber das ist aktuell noch sehr selten.“

Codingkenntnisse nicht zwingend

Bei vielen seiner Kundentermine geht es immer noch um Basisarbeit. „Manche Geschäftsführer oder Finanzvorstände kennen sich schon gut aus und kommen mit konkreten Vorstellungen, welche Prozesse wir uns mal anschauen sollen“, berichtet der Blockchain-Berater. „Viele stellen aber auch einfach fest, dass die Konkurrenz ‚etwas mit Blockchain macht‘, und wollen wissen, ob sie sich auch damit beschäftigen müssen.“

Tatsächlich ist Blockchain-Beratung

echte Teamarbeit, stellt der Chainstep-Consultant fest: „Man braucht so einen wie mich, der insbesondere zu Beginn den kreativen Prozess steuert. Ich muss Probleme identifizieren, Prozesse im Unternehmen analysieren, mögliche Geschäftsmodelle definieren und daraus mögliche Lösungen erdenken.“ Dafür braucht es technisches Verständnis, Wissen über industrielle Prozesse und Kreativitätstechniken – und über die Fähigkeiten der neuen Technologie. Aber es braucht nicht zwingend Codingkenntnisse. Wenn klar ist, dass eine Blockchainanwendung der Firma helfen kann, dann schlägt die eigentliche Stunde der Programmierer, die versuchen, nun alles in einen Prototypen umzusetzen. „Man braucht in der Beratung beide Kompetenzen“, erklärt Graf. „Aber die stecken selten in ein und derselben Person.“
Anders als im Geschäft rund um Bitcoins, wo tatsächlich schon eine Reihe von Anwendungen im Einsatz sind, stecken die konkreten Lösungen für den Produktivbereich noch in den Kinderschuhen. Echte Pionierarbeit. „In zwei öffentlich geförderten Forschungsprojekten arbeiten wir mit den Kunden zum Beispiel gerade an einem Prototypen für einen digitalen Frachtbrief“, erzählt Graf. „Und mit einem Versicherungskunden entwickeln wir eine Pilotlösung, um Schäden in der Transportlogistik abzuwickeln.“ Wie viele Blockchain-Berater es hierzulande gibt, das weiß niemand. Aber so viel ist klar: In jedem Fall gibt es nicht genug. Denn die Nachfrage ist groß: Das Stellenportal Indeed listet, Stand Februar 2020, gut 1.200 Jobangebote zum Stichwort „Blockchain“, viele davon als Consultant.

Blockchain-Experte werden

Den bislang einzigen „vollen“ Studiengang zum Thema bietet die Hochschule Mittweida. Seit dem Wintersemester 2018/2019 gibt es dort den viersemestrigen, bilingualen Masterstudiengang Blockchain & Distributed Ledger Technologies (DLT). Obwohl in der Kategorie Informatik gelistet, können sich neuerdings auch Nicht- Informatiker bewerben. Einen Hang zu Mathe und IT braucht es trotzdem. Während des Studiums kann man sich für eine technische Ausrichtung (Mathematik und Informatik) oder eine wirtschaftsnahe Ausrichtung (Recht und Risikomanagement) entscheiden.
www.cb.hs-mittweida.de

→ Die University of Nicosia auf Zypern bildet mit ihrem „Master in Digital Currency“ Experten für Kryptowährungen aus.
→ Zum Reinschnuppern eignet sich der kostenlose Mooc der Universität: „Introduction to Digital Currencies“
www.unic.ac.cy/blockchain/free-mooc

→ Das Blockchain Competence Center Mittweida veranstaltet zweimal pro Jahr einwöchige Blockchain-Seminare für Anfänger und Fortgeschrittene. Am Ende sollen alle erste Applikationen programmieren können. Nächster Termin: 28.9. bis 2.10.
https://blockchain.hs-mittweida.de

→ Die Frankfurt School of Finance & Management bildet in sechs Monaten zum „Certified Blockchain Expert“ aus. IT-Basiswissen ist nötig, man muss aber nicht programmieren können. Als berufsbegleitendes E-Learning-Angebot gibt es die sechswöchige „Master Class on Blockchain Business Strategy“.
www.frankfurt-school.de