„Ich habe immer noch Angst“ – Tijen Onaran

„Ich habe immer noch Angst“ – Tijen Onaran

#kurzvita Tijen Onaran, 37, aufgewachsen in Karlsruhe, Gründerin der Beratungsunternehmen Global Digital Women und ACI Diversity Consulting, ist Investorin, Autorin und eine der wichtigsten Vordenkerinnen Deutschlands zu den Themen Digitalisierung und diverser Sichtbarkeit. Das Handelsblatt wählte sie 2021 zu den „Top 100 Frauen, die Deutschland bewegen“.

Tijen Onaran © Peter Rigaud

Frau Onaran, „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“ heißt eines Ihrer Ratgeber-Bücher. Warum ist es dabei denn so wichtig, sich selbst zur Marke zu machen?

Tijen Onaran: Ob Arbeitgeber, Kunden oder Kooperationspartner – andere Menschen machen sich automatisch ein Bild von uns. Mit der Verbreitung der Sozialen Medien geht es mehr denn je darum, dass wir selbst aktiv an unserem Image arbeiten, bevor es andere tun, wir also die Farbe und das Hauptmotiv beeinflussen, die dieses Bild in der Öffentlichkeit hat. Und es geht darum, sich selbst so zu positionieren und geschickt zu vernetzen, um in denjenigen Kreisen bekannt zu werden, die für die eigenen beruflichen Ziele wichtig sind.

 

Wie schafft man Sichtbarkeit für die eigene Leistung?

Tijen Onaran: Indem ich mir zunächst überlege, für welche Themen ich stehe und wozu ich mich äußere. Wen ich erreichen will, wie ich entsprechend auftrete und natürlich auch wo – rein virtuell oder persönlich, zum Beispiel auch auf Veranstaltungen, um meine Botschaft zu verbreiten.

 

Soweit die Theorie, schildern Sie doch mal, wie Sie sich selbst in den Sozialen Medien zur Marke gemacht haben.

Tijen Onaran: Ich mache mich für Digitalisierung und Diversität in Unternehmen stark. Meine Zielgruppe sind mutige Frauen, die in der Wirtschaft durchstarten wollen, vorwiegend als Gründerinnen. Die richtige Bühne für mich, um sie zu erreichen, ist das Karrierenetz LinkedIn. Instagram oder Youtube funktionieren für mich nicht so gut.

 

Inwiefern haben Ihnen Ihre Aktivitäten auf LinkedIn denn bei Ihrer eigenen Karriere genutzt?

Tijen Onaran: Als ich vor Jahren meine Festanstellung in einer Unternehmensberatung gekündigt hatte, ohne bereits einen neuen Job zu haben, hat mir meine Sichtbarkeit auf der Plattform extrem geholfen. Darüber haben sich mir neue Türen geöffnet. So wurde ich von meinen Kontakten zum Beispiel stark ermuntert, mich selbstständig zu machen, und es kamen auch schon erste Angebote, mich als Moderatorin zu engagieren.

 

Sich in die Öffentlichkeit wagen, eine Haltung einnehmen, sich vielleicht angreifbar machen – das liegt nicht jedem. Was empfehlen Sie?

Tijen Onaran: Drei Dinge. Erstens: Niemals zu denken, ,Ich habe ja nichts mitzuteilen, weiß nichts Interessantes zu berichten‘. Das ist ein Irrtum. Jeder Mensch hat mindestens einen interessanten Aspekt, den er oder sie anderen vermitteln kann – ob Know-how, Erfahrung oder eine fundierte Meinung zu einem bestimmten Thema. Zweitens: Loslegen und sich vom Wunsch nach Perfektion verabschieden. Denn das ist der Clou von Sichtbarkeit: Man wächst mit und an ihr. Drittens: Einen Kreis aus bereits bekannten Menschen in demjenigen Bereich suchen, in dem man selbst sichtbar werden möchte. Wichtig: Man muss sich in diesem Kreis wohlfühlen. Also kommt es auf die sorgfältige Auswahl dieser Anfangskontakte an. Idealerweise wächst die Sichtbarkeit mit ihrer Hilfe dann fast automatisch.

 

Klingt abstrakt, wie geht das im Detail?

Tijen Onaran: Reichweite bei LinkedIn baut sich auf durch gegenseitiges Einladen. Die Follower meiner Kontaktpersonen sehen dann auch meine Posts. Anfangs habe ich zwei bis drei Posts pro Tag zu meinen Themen verschickt. Das ist wie eine Lawine, die immer größer wird, wenn sie erst einmal rollt.

 

Was ist, wenn der Schritt in die Öffentlichkeit schiefgeht?

Tijen Onaran: Fehler und Scheitern gehören zum Wachstum dazu. Mit ihnen umzugehen und daraus zu lernen, bringt uns weiter.

 

Ist Ihnen das mal selbst passiert?

Tijen Onaran: Ähm, ja (lacht). Bei einem meiner ersten Auftritte als Moderatorin einer Talkrunde merkte ich plötzlich: Meine Moderationskarte zum wichtigsten Teilnehmer fehlt. Ich habe nicht nur seinen Namen vergessen, sondern erinnere vor lauter Schreck auch nicht mehr, dass er ein Wissenschaftler der amerikanischen Elite-Uni Harvard ist, kann ihn also nicht vorstellen.

 

Wie unangenehm. Was haben Sie gemacht?

Tijen Onaran: Ich sage zu dem Harvard-Professor: ,Es tut mir sehr leid, ausgerechnet Ihre Karte ist weg. Ich habe gerade einen totalen Aussetzer, ich kann mich nicht erinnern, wer Sie sind und wie Sie heißen.‘ Da war es mit einem Mal totenstill. Es waren immerhin 300 Leute im Saal.

 

Und dann?

Tijen Onaran: Tja, erst mal wurde es noch schlimmer, denn auch meine Mutter saß damals im Publikum. Und sie sagte laut: ,Macht nichts, Tijen, mach einfach weiter!‘ Alle drehten sich zu ihr um. Ich wollte am liebsten nur im Boden versinken.

 

Und der Prof?

Tijen Onaran: Der ist zwar nicht begeistert, stellt sich aber immerhin selbst vor. Und ich gewinne meine Fassung zurück.

 

Das hat Ihrer beruflichen Entwicklung nicht geschadet. Was haben Sie aus Ihrer Panne gelernt?

Tijen Onaran: Seitdem mache ich mit Moderationskarten immer einen Double-Check (lacht). Aber im Ernst: Wenn so was passiert, löst man das immer am besten, indem man zu seinem Fehler steht und um Hilfe bittet. Auch wenn einem 300 Leute dabei zugucken.

 

Sie halten Impulsvorträge in männlich dominierten Managerzirkeln, bringen aber auch mit Ihrer Veranstaltung Digital Female Leader Award jedes Jahr über 300 Frauen zusammen. Wie haben Sie persönlich denn Ihre Angst davor abgelegt, vor Menschen zu sprechen?

Tijen Onaran: Abgelegt? Ich habe immer noch Angst. Die Leute denken nur, ich sei total entspannt. Aber, hey, ich habe bei jedem Auftritt meine ganz persönliche Strategie, um die Angst zu besiegen. Oh, spannend, verraten Sie uns die doch bitte. In dem Moment, in dem ich auf die Bühne gerufen werde, denke ich jedes Mal: ,Ich hau ab‘. Und während ich das noch denke, gehe ich auf meinen Platz im Rampenlicht. Genau dieses Spannungsfeld gibt mir meine Energie. #